Flächenverbrauch in Deutschland: Verschwindet die Natur ?
(Quelle: gmx.de/web.de – 3.12.17)
Von
Frank Heindl
Aktualisiert am 02. Dezember 2017, 16:39 Uhr
Der Flächenverbrauch der Bundesbürger ist enorm: Immer mehr Straßen, Industrieanlagen, Wohn- und Gewerbegebiete beanspruchen Platz. Wo gebaut wird, gehen Ackerland und Naturraum verloren. Den selbstgesteckten Zielen für weniger Flächenverbrauch hinkt Deutschland hinterher. In Bayern starten die Grünen nun ein Volksbegehren. Das hat einen besonderen Grund.
Im Jahr 2000 war ein Höhepunkt erreicht: 130 Hektar wurde damals überbaut. Die Fläche von mehr als 180 Fußballfeldern war das – täglich. Jeden Monat ging eine Fläche von der Größe des Ammersees verloren, jedes Jahr ein Areal von der Größe der Stadt Wien. „Seither ist der Verbrauch rückläufig“, freut sich Gertrude Penn-Bressel, die im Bundesumweltamt das Fachgebiet „Nachhaltige Raumentwicklung“ leitet. Bis zum Jahr 2015 hat sich der Landfraß halbiert. Doch zufrieden ist sie mit dieser Entwicklung längst nicht. Auch wenn mittlerweile der jährliche Flächenverbrauch „nur“ noch die Fläche von Düsseldorf erreicht: Die Ziele der Bundesregierung sind höher gesteckt.
„Wir liegen heute bei einem täglichen Flächenverbrauch von etwa 60 Hektar. Ziel der Planungen aber war und ist es, bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag zu reduzieren. Das wird nicht klappen“, so Penn-Bressel.
Schuld am anhaltend hohen Landverbrauch ist der Bau von Straßen und Wohnungen, von Industrie- und Gewerbeflächen.
Eines der Probleme, die das Bundesumweltamt sowie Umwelt- und Forschungsministerium mittlerweile angehen, ist der „Stadt-Umland-Konflikt.“ Städte haben, was den Flächenverbrauch anbelangt, einen großen Vorteil: Mit vergleichsweise wenig Infrastruktur erreichen sie sehr viele Menschen. Zum Baumarkt beispielsweise, zum Möbeldiscounter oder ins städtische Krankenhaus kommen täglich zehntausende – und alle auf denselben Straßen. Städteplanerisch gesprochen: die Infrastruktur ist hoch effizient und wird extrem gut ausgenutzt.
Landbewohner verbrauchen deutlich mehr Fläche
Anders auf dem Land: Der Weg zum Arzt ist weiter, die Straße dorthin – genauso breit und gut ausgebaut wie in der Stadt – wird nur von vergleichsweise wenigen genutzt. Die Folge ist: Pro Kopf verbrauchen Landbewohner deutlich mehr Fläche. Das gilt nicht nur für die Infrastruktur. „Auf dem flachen Land kann man den Menschen keine Geschosswohnungen vermitteln“, gibt Gertrude Penn-Bressel zu bedenken. Während in der Stadt Wohnblock- und Hochhausbebauung auf engem Raum üblich ist, weisen die Gemeinden im Umland großflächigen Baugrund für Einfamilienhäuser aus, in denen nur wenige Menschen leben. Auch das treibt den Flächenverbrauch in die Höhe. Sollten wir also besser eine Gesellschaft von Stadtbewohnern werden? „Nein“, sagt Silvia Bender vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im Gespräch mit unserer Redaktion. „Aber wir müssen in vielen Bereichen gegensteuern.“
Viele Landgemeinden erkennen ihrer Erfahrung nach mittlerweile, dass man auch anders wachsen kann. Statt durch Bauen auf der grünen Wiese lieber per „Innenverdichtung“: „Viele Städte habe das Problem, dass die Innenstädte veröden.“ Der BUND empfiehlt deshalb Investitionen in die Stadtkerne: Attraktivere Innenstädte statt Zersiedelung des Umlandes, lautet die Devise.
Die Regierung fördert neues Denken
Mit dieser Erkenntnis stehen die Umweltschützer nicht allein – auch die Regierung hat sich mit Forschungs- und Förderungsprojekten angeschlossen. „Stadt-Land-Plus“ heißt eines dieser Programme. Es will den Stadt-Land-Gegensatz umwandeln in ein Miteinander von Städten und Umlandgemeinden bei Planung und Investitionen. Von „interkommunalen Anstrengungen für ein ressourcenschonendes Landmanagement“ spricht das Konzept und will vor allem „anwendungsnahe“ Forschungen und Untersuchungen für neues planerisches Denken fördern. Doch die Zeit drängt. „Man muss viele Fragen diskutieren, aber man kann nicht warten, bis alles ausdiskutiert ist“, gibt Silvia Bender vom BUND zu bedenken. Schon jetzt sei „planerisch viel Luft drin.“ Gemeinden könnten neue Konzepte verwirklichen, um sich attraktiv zu machen. Aber die Regierung müsse auch schnell Gesetze zur Flächenbegrenzung erlassen, „selbst wenn man dafür nicht geliebt wird.“
Bayern hat den größten Flächenverbrauch in Deutschland
Auf den Gesetzgeber allerdings wollen die Grünen in Bayern nicht mehr warten. Sie haben den Weg zu einem Volksbegehren gegen Flächenverbrauch eingeschlagen. Das Motto: „Damit Bayern Heimat bleibt.“ Dass solch eine Initiative gerade aus Bayern kommt, hat seine Gründe: Der Freistaat, von Einheimischen und Touristen geliebt für Berge und Almen, Wiesen und Wälder, ist der größte Flächenverbrauchs-Sünder in Deutschland. Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen im bayerischen Landtag, hat erschreckende Zahlen vorzuweisen: 2011 sei Bayern für die Hälfte der bundesweiten Bodenversiegelung verantwortlich gewesen. 13 Hektar verbaut der Freistaat nach aktuellen Daten immer noch pro Tag – gut ein Fünftel des Flächenverbrauchs in ganz Deutschland. Die bayerische Bevölkerung ist zwischen 1980 und 2015 um 15% gewachsen, „aber gleichzeitig haben die Siedlungs- und Verkehrsflächen um 49% zugenommen.“ Jeder bayerische Bürger braucht im Durchschnitt immer mehr Platz. Fazit des Grünen: „Die Landesplanung funktioniert nicht.“
Gewerbegebiete – warum immer einstöckig?
Dass Bayern vor allem als Land der Berge gilt, ist für Hartmann nicht ganz richtig: Das Problem des Freistaates sei „die flache Geografie“ rings um die bayrischen Boomregionen: Dort sei das Bauen in der Fläche „zu einfach und zu billig.“ Was er von Fahrten entlang der bayerischen Bundesstraßen berichtet, lässt sich allerdings für ganz Deutschland sagen: „Lagergebäude links und rechts, Großmärkte auf der grünen Wiese, hässliche Gewerbegebiete.“ Dabei würden schon einfache Maßnahmen das Problem eindämmen. „Warum eigentlich“, fragt Hartmann, „müssen Firmen wie Amazon oder BMW ihre riesigen Gebäude einstöckig bauen, ohne Keller, ohne erstes und zweites Stockwerk?“
Auch die Parkplätze von Großfirmen erstreckten sich auf der grünen Wiese oftmals „bis zum Horizont“. Dabei könne man doch auch auf dem Land Parkdecks bauen – „man muss es nur wollen.“
Und warum, so Hartmann weiter, würden im ganzen Land „noch immer Schulen gebaut, die nur über Erdgeschoss und ersten Stock verfügen?“ Das soll heißen: Mit mehrstöckiger Bebauung ließe sich viel Fläche sparen, müsste viel weniger Boden versiegelt werden.
Nullwachstum ab 2050 geplant
Ein Nullwachstum beim Flächenverbrauch sieht die Planung des Bundesumweltamtes als Ziel für 2050 vor. Ab dann soll in Deutschland nur noch gebaut und versiegelt werden, wenn dafür anderswo zurückgebaut wird. „Langfristig werden wir dahin kommen müssen“, sagt Hartmann. Realistisch sei es aber, in kleineren Zwischenschritten zu denken und zu planen. „Wir müssen anhaltende Überzeugungsarbeit leisten“, weiß auch Gertrude Penn-Bressel vom Bundesumweltamt.
Sie bedauert gleichzeitig Rückschritte zum Beispiel in der Neufassung des Bundesbaugesetztes – dort wurden Planungen vereinfacht und verkürzt. Dabei käme es nach Vorstellung der bayrischen Grünen gerade auf passende Vorschriften an: „Mit Freiwilligkeit“, sagt Ludwig Hartmann, „geht es nicht mehr.“
Und Silvia Bender vom BUND weist auf das Beispiel Belgien hin: „Das Land ist flächendeckend zugebaut. Wir müssen darüber reden, ob wir das bei uns auch so wollen.“