Flächenfraß in Bayern, SZ vom 10.11.2017
- November 2017, 18:53 Bauen und Landschaft
Der Landeszerrüttungsplan macht Bayern kaputt
- Der bayerische Landtag hat den sogenannten Landesentwicklungsplan beschlossen.
- Damit wird es deutlich einfacher, Areale als Gewerbegebiete auszuweisen.
- Die Grünen werben mit einer Unterschriftenaktion für ein Volksbegehren gegen den Flächenfraß.
Essay von Gerhard Matzig
Kilometer 0. Die Reise in die Wüste ist nicht lang. Im Grunde fängt sie am Anfang jener Autobahn an, die München einmal mit Passau verbinden soll. Dass es aber womöglich eine Gnade ist, dass die A 94 noch immer unvollendet ist: Dieser Eindruck drängt sich schon am Hochhaus des Süddeutschen Verlages auf, der ein eher argloses Gewerbegebiet namens „Zamdorfer Straße“ wie ein mittelalterlich besorgter Wachturm überragt.
Hier beginnt sie, die Reise in die bayerische Gewerbesteppe, wobei der Reisende durchaus auf die Idee kommen könnte, er sei nicht nur unterwegs in einer sich so breiig wie schuhschachtelhaft in die Landschaft ergießende Wüstenei, die entlang etlicher Autobahnen in Bayern die Problemzonen der postindustriellen Städte schon jetzt beherbergt, sondern auch direkt auf dem Weg in die künftige Hölle.
Dabei schneidet das Gewerbegebiet an der Zamdorfer Straße in München im Internet gar nicht mal so schlecht ab. Gesamtnote: 3,8 Sterne. Für „Europas größten Harley-Händler“, der unweit der SZ an der A 94 haust, vergibt der Google-Rezensent Michael Guhl, der zusammen mit bemerkenswerten 146 Menschen schon über dieses Gewerbegebiet abgestimmt hat, sogar fünf Sterne. Das Maximum. Fatih Barisan jedoch meint: „Ich hasse diesen Ort.“ Kaum versöhnlicher bemerkt Alexander Fischer: „Nicht schön. Ist eben ein Gewerbegebiet. Was soll man sagen?“
Eben. Was soll man sagen angesichts einer Bautypologie, die von Baracken-Architektur, Wellblech-Elend und Flachdach-Depression kaum zu unterscheiden ist? Was sagt man über ein Phänomen, das von vielen Menschen hingenommen wird wie der Klimawandel, das Artensterben oder Trump-Tweets. Nicht schön, ist eben ein Gewerbegebiet – aber was soll man sagen? Vielleicht erst mal dies: Das Gewerbegebiet ist die Zukunft Bayerns.
Dafür hat am Donnerstag im Landtag (SZ vom 10. November) die Söder-Partei als ihre eigene und sehr spezielle Alternative für Bayern gesorgt, indem sie mit ihrer üblichen CSU-Mehrheit nicht nur den eigenen Alpenplan aushebelt, sondern auch den Flächenfraß durch Umschreibungen im neuen Landesentwicklungsprogramm beschleunigt. Gewerbeansiedlungen werden so enorm erleichtert.
Die Wüste darf sich also nach den Wünschen eines Heimatministers, der sich der Zerstörung exakt dieser Heimat befleißigt, ausbreiten. Nun sollen Gewerbegebiete auf freien Flächen (vormals: Wiesen und Äcker) entlang der Autobahnen, Bundesstraßen und Verkehrsknotenpunkte auch dort entstehen, wo sie bislang gar nicht genehmigungsfähig waren.
Die Kommunen haben jetzt nämlich ziemlich freie Hand, sich in der Ausweisung von immer mehr Gewerbeflächen auch abseits der Ortschaften gegenseitig im Kampf um Gewerbesteuern Konkurrenz zu machen. Und hätten sich nicht Experten der Regionalplanung sowie Naturschützer und verantwortungsbewusste Politiker gegen dieses Vorhaben gestemmt, so müsste man jetzt auch den Hinweis auf die „ziemlich“ freie Hand streichen.
Im Ergebnis wird es trotz mühsam errungener Zugeständnisse dennoch zu einem so radikalen Umbau der Region kommen, dass man sich fragen muss, wie die Kulturlandschaft das überleben soll. Gott mit dir, denkt man, du Land der Bayern: Von den weiten Gauen, Fluren und „deiner Städte Bau“, von denen in der Bayernhymne die Rede ist, wird nicht viel übrig bleiben, wenn jene Partei mit dir fertig ist, deren Protagonisten die Hymne in den Bierzelten immer am ergriffensten trällern.
Die CSU, die sich oft mit dem Land selbst verwechselt, sägt den Ast ab, auf dem sie sitzt. Und im an sich völlig berechtigten Bemühen, die Ökonomie des Landes zu stärken, schwächt sie im Ergebnis sogar das Land selbst. Denn schon jetzt kann man sich ja entlang der meisten Autobahnen und Bundesstraßen ein Bild davon machen, was es bedeutet, wenn sich die Anzahl der Gewerbeflächen erhöht – während ihre Gestaltung und Planung zunehmend an den Zufall der Marktmechanismen und lokaler Entwicklungsschübe delegiert wird.
Eine nachhaltige, ökologisch und ökonomisch sinnvolle sowie ästhetisch wirksame, somit der Heimat und der räumlichen Identität wahrhaft verbundene Raumplanung ist das genaue Gegenteil von dem, was nun als Landesentwicklungsplan verabschiedet wurde. Das Ergebnis ist ein Landeszerrüttungsplan.
CSU ist für den Flächenfraß – und dagegen
Kilometer 5,8 an der A 94 in Richtung Passau. Der SZ-Turm ist schon ganz klein, Spedition und Betonwerk bleiben zurück. Wie auch das Gewerbegebiet „Am Moosfeld“, das weder Moos noch Feld zu bieten hat, sondern funktionale Hallen, deren Funktion offenbar auch darin besteht, billig und hässlich aussehen zu müssen.
Man begegnet einem Containerberg. Und steht im Lkw-Stau. Vor einem die Aufschrift „Lebende Tiere“. Das Plastikspielzeug aus Fernost im Container und das lebende Tier auf dem Weg zum – wenn es Glück hat – Bio-Metzger sind das Zubehör einer Radiomeldung, die besagt, dass es in Deutschland wirtschaftlich brummt.
Das ist auch gut so. Aber das Brummen am Wirtschaftsstandort hat einen Resonanzraum: das Gewerbegebiet. In keinem anderen Bundesland ist der Druck so hoch, immer mehr dieser Gebiete auszuweisen. Im Osten Deutschlands kann man sich übrigens davon überzeugen, was vom Gewerbegebiet bleibt, wenn es mal nicht mehr ganz so brummt, was in zyklisch organisierten Volkswirtschaften immer wieder mal vorkommt: Dann hat man Erdreich verloren und den kontaminierten Leerstand rostender Hallen bekommen.
Ampfing Ost: Netto, Lidl, Kik, Getränkemarkt, Präzisionswerkzeugschleiferei, Ergo-Therapie, Sportcenter, Sonnenstudio und „Ihr Photovoltaik-Partner“
In Südtirol und in Österreich kann man auch sehen, wie sich Landschaften verändern, deren Güterproduktion links und rechts der Autobahnen in zuvor freier Natur ausgestellt werden: Sie werden immer hässlicher. Bis zur Unkenntlichkeit. Und zur Ort-, ja Heimatlosigkeit. Kennst du ein Gewerbegebiet, kennst du alle.
Kilometer 29,7. Der A 94 geht die Luft aus, sie wird zur Bundesstraße, zur B 12. Die Gewerbegebiete „Markt Schwaben West“, „Feldkirchen Süd“ und „Kirchheim II-Heimstetten-Feldkirchen-Ost I/II“ liegen hinter einem. Das Schild vom Gewerbegebiet, das manchmal auch Einkaufszone, Industriegebiet oder, euphemistischer Gipfel, Gewerbe-„Park“ heißt, ist längst zum treuen Begleiter geworden. Es zeigt Fabrikschlote und sägezahnhafte Sheddächer von Werkhallen. Fast aus der Zeit gefallen: So sieht das typische Piktogramm vom Brummen aus. Ein Fabrikschlot wäre allerdings eine willkommene Architektur gegen das, was üblicherweise Polstermöbel, Miet-WCs, Buddha-Statuen oder Infrarotkabinen beinhaltet.
Es ist ja gut, dass es diese Dinge gibt. Es ist gut, dass es so viel Arbeit gibt. Und man kann nicht aus ganz Deutschland ein Naturschutzreservat machen. Klar. Aber könnte man den Flächenverbrauch nicht etwas begrenzen und ordnen?
Wie das Leben aus Bayerns Innenstädten verschwindet
13 Hektar Fläche werden täglich verbraucht. „Pro Jahr entspricht das der Fläche des Ammersees. Seit der Jahrtausendwende ist eine Fläche so groß wie München, Nürnberg, Augsburg, Regensburg und Fürth unter Asphalt und Beton verschwunden.“ Diese Sätze stammen von Ludwig Hartmann, Mitglied des Landtags und Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90 / Die Grünen. Derzeit wirbt er mit Hilfe einer Unterschriftenaktion („Betonflut eindämmen!“) für ein Volksbegehren, das eine Höchstgrenze von fünf Hektar zum Ziel hat. Angesichts von 11 000 Hektar Gewerbeflächen, die in Bayern gerade leer stehen, ist das eine gute Idee. Angesichts der Entscheidung vom Donnerstag im Landtag ist es außerdem eine Notbremse.
Gute Gründe sprechen gegen die Ausweitung der Gewerbegebiete und noch mehr Bodenversiegelung. Hartmann zählt einige auf im Gespräch. Erstens die Ökologie. Stichwort „Insektensterben“. Stichwort „Flutkatastrophe“. Zweitens die Bewahrung des Landschaftsbildes. Drittens die Flächenkonkurrenz, die es inzwischen auch den Bauern schwer macht, unsere Nahrung herzustellen, weil Ackerland immer teurer wird. Und viertens gehe es auch um den „Donut“-Effekt.
Der tritt auf dem Land überall dort auf, wo sich Handwerk oder Einzelhandel in neuen Gewerbegebieten einrichten. Dann sterben die Ortskerne ab – es entsteht wie bei einem Donut ein Loch in der Mitte, während die Ränder fett werden. Weil von diesem Dorfsterben in Deutschland, das ein Land des Landlebens ist, sehr viele Menschen betroffen sind, regt sich endlich auch Widerstand gegen den Flächenfraß. Ganz ohne Ideologie. Hartmanns Versuch, die Betonflut einzudämmen, hat daher Zulauf. Kein Wunder. Es geht nicht nur um Ästhetik, sondern um eine Lebensgrundlage. Um den Boden, auf dem wir stehen.
Kilometer 67,7. Man ist in der Robert-Bosch-Straße in Ampfing. Das ist eine Gemeinde im oberbayerischen Landkreis Mühldorf. Gut 6000 Menschen leben hier. Und zwar in einem Donut. Die sympathische Mitte des Städtchens ist eher etwas leer, aber das Gewerbegebiet „Ampfing Ost“ ist eher etwas voll: Netto, Lidl, Kik, Getränkemarkt, Präzisionswerkzeugschleiferei, Ergo-Therapie, Sportcenter, Sonnenstudio und „Ihr Photovoltaik-Partner“. Es brummt.
Wieso München, wenn man auch in Freyung wohnen kann?
Die Straße endet am Acker. Man blickt ins Grüne, nach Bayern. Dann dreht man sich um und sieht eine Halle. Auf der Mauer: Lüftlmalerei. Trompe-l’œil ist die Kunst der Illusion. Zu sehen ist eine exotische Fantasie-Landschaft, die sich jemand ausgedacht hat, damit die Mauer nicht so leer ist. Bayern ist schon jetzt an sehr vielen Orten eine Illusion. Eine schöne Erinnerung. Bald gibt es mehr davon.